Fünfzig Jahre Gottesmann
Beromünster - Es ist ein sonniger Morgen im Kanton Luzern, als Pater Toni Rogger zum Interview über sein außergewöhnliches Leben im Dienst von Gott und Menschen einlädt. Mit bedachten Schritten geht er durch die Räume des Jugendwerkes in der Don Boscostraße 31 in Beromünster. Ebenso überlegt sind seine Gedanken und Worte zu einem halben Jahrhundert Rückschau, mit all den dazugehörigen Höhen und Tiefen eines bewegten Lebens. Doch sind es Ruhe, Zufriedenheit und auch Zuversicht, die aus den Augen des aus dem Kanton St. Gallen gebürtigen Uznachers leuchten. Ein exklusives Interview zu seiner sich am 15. August 2021 zum fünfzigsten Mal jährenden Profess als Ordensmann der Salesianer Don Boscos schenkt Einblick in sein außergewöhnliches Leben.
Oft ist die Familiengeschichte prägend, um eine Berufung als Priester zu erleben. Wie ist diese bei Ihnen gewesen?
Pater Toni Rogger: Aufgewachsen bin ich in Uznach, im Kanton St. Gallen, in einem alten Bauernhaus. Gemeinsam mit meinen Eltern und drei Brüdern. Wir hatten ein sehr bescheidenes, aber auch schönes Leben mit viel Freiheit, geprägt durch Zuwendung und tiefen Glauben meiner Eltern. Meine Mutter war als Vollwaise aufgewachsen. Mein Vater hat über 50 Jahre in derselben Textilfabrik Stoffe bearbeitet. Meine Eltern haben uns gefördert, soweit es in ihren Möglichkeiten lag. Wohl auch aus dem Wunsch heraus, dass wir Buben es einmal besser haben sollten als sie.
Was hat in Ihnen den Wunsch zum Priestertum reifen lassen?
Eine Aneinanderkettung glücklicher Umstände hat meinen Weg zum Priester geebnet. Jedoch frage ich mich bis heute: War es Zufall oder göttliche Vorsehung? Schon in der Sekundarschule dachte ich intensiv über meine berufliche Zukunft nach. Irgendwie hatte ich eine große Affinität zur Swissair und ein Interesse an fernen Kulturen. So konnte ich mir einen Beruf mit viel Reisetätigkeit gut vorstellen. 1962 fanden die Priesterweihen im Bistum St. Gallen in der Stadtkirche Uznach statt. Ich durfte an dieser Feier teilnehmen. Dabei ist mir klargeworden: Ich möchte Priester werden. Voller Freude ging ich zu unserem Pfarrer und erzählte ihm von meinem Wunsch. Er versprach mir, einen Ort zu suchen, wo ich das Latein nachlernen und das Gymnasium besuchen könnte. Ein Besuch vom Don Bosco Pater Alfred Fleisch bei unserem Pfarrer bahnte mir den Weg. Ich fand im Studienheim Don Bosco in Beromünster Aufnahme und meinen weiteren Lebensweg.
Was waren Ihre drängendsten Fragen, bevor Sie sich vor 50 Jahren für das Ordensleben entschieden?
Am meisten haben mich zwei Fragen beschäftigt: Bin ich überhaupt für das Priestertum geeignet? Und werde ich mit dem Zölibat leben und glücklich sein können? Ich bin tief in mich gegangen und habe letztlich beide Fragen mit „Ja“ beantwortet.
Was hat Sie speziell an den Salesianern Don Boscos begeistert?
Der Heilige Don Bosco ist der Schutzpatron der Jugend. Seine Option für junge Menschen, mit Spaß, Wahrhaftigkeit und echter Freundschaft hat mich begeistert und tut das noch heute. Gerade den armen Kindern und Jugendlichen in schwierigen Verhältnissen Chancen auf ein besseres Leben zu ermöglichen, das ist bis heute der aktuelle Auftrag, den wir Salesianer Don Boscos weltweit erfüllen.
Was sind die Gemeinsamkeiten der Jugend vor fünfzig Jahren und heute?
Die Jugend ist auf der Suche, das bleibt immer so. Junge Menschen suchen den Weg in die Zukunft, mit mehr oder weniger Rebellion. In dieser Zeit brauchen sie eine positive, optimistische Zuwendung. Güte, Liebe und Verständnis machen sie ansprechbar für eine positive Entwicklung. Zudem ist die Jugendzeit geprägt von der Loslösung vom Zuhause, das verläuft bei jedem und jeder individuell und unterschiedlich. Don Boscos präventive Pädagogik, also gute Begleitung bevor es in die falsche Richtung geht, ist zeitgemäßer denn je.
Sucht die Jugend von heute noch nach Gott?
Im Innersten schon. Es geht immer um die Suche nach dem tieferen Sinn im Leben, um etwas, was im Leben Halt gibt. Jedoch lassen die zunehmende Säkularisierung und das Konsumverhalten der Menschen in unserer Gesellschaft diese Fragen zunehmend ins Leere gehen.
Haben Armut oder Wohlstand Einfluss auf den Glauben?
Armut ist dem Glauben wohl förderlicher als Reichtum. Wenn ich arm bin, erschließt sich mir die Botschaft des Evangeliums viel ursprünglicher: Jesus stand vor allem an der Seite der Armen, der Verlassenen, der Ausgestoßenen. Bis heute finden sie in der Frohen Botschaft Geborgenheit, Kraft, Mut und Zuversicht. Satte Menschen spüren das Angewiesensein auf eine göttliche Führung wohl weniger.
Begründet das Ihr jahrzehntelanges Engagement für die Don Bosco Jugendhilfe Weltweit?
Nicht nur, aber auch. Einerseits hat heute der Staat viele Aufgaben übernommen, denen früher Ordensgemeinschaften nachgingen – etwa Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Andererseits sind unsere akutesten und drängendsten Jugend- und Bildungsanliegen seitens der Don Bosco Jugendhilfe Weltweit in den Armutsgebieten unserer Erde zu finden: In Elendsvierteln von Metropolen in Lateinamerika, Afrika und Asien, in Flüchtlingslagern, auf Müllhalden und sonstigen sozialen Brennpunkten. Und ich darf Ihnen versichern: Das Vorbild Don Boscos und unsere Arbeit als weltweite Hilfsorganisation im Dienst der am meisten benachteiligten Jugend ist heute wichtiger denn je…
Gab es auf Ihren Reisen zu den Hilfsprojekten Begegnungen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Ja, es war mir immer wichtig, unsere verantworteten Hilfsprojekte persönlich zu kennen, ihnen auch vor Ort zur Seite zu stehen. Auch um unseren Spenderinnen und Spendern unmittelbar berichten zu können, was mit ihrer Unterstützung geschieht, aber auch die persönliche Betroffenheit teilen zu können. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Begegnung mit einer jungen Frau namens Rosangela in Salvador de Bahia in Brasilien. Auf meinem Spaziergang durch die Altstadt sprach sie mich an und wich nicht von meiner Seite. Sie bot mir immer und immer wieder ihre Dienste an, bis ich ihr sehr deutlich erklärte, dass ich Priester sei und keinerlei Interesse an einem sexuellen Abenteuer hätte. Als sie sagte, sie habe großen Hunger, lud ich sie zum Essen ein. Wie sie mir von ihrem Leben erzählte, sah ich Tränen in ihren Augen. „Weißt du“, sagte sie, „ich mache diese Arbeit nicht gern. Es ist erniedrigend, sich von Männern ausnützen zu lassen. Aber es ist meine Art, überleben zu können.“ Heute haben wir in diversen Hilfsprojekten Resozialisierungs- und Therapieprogramme für sexuell ausgebeutete und missbrauchte Mädchen und junge Frauen, um ihnen Wege in eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Ist Geld die Lösung für diese Probleme?
Geld ist ein Teil dieser Lösung. Spenden aus der Schweiz für die Don Bosco Jugendhilfe Weltweit ermöglichen sehr zeitnahe und direkte Hilfe vor Ort in den Hilfsprojekten der Salesianer Don Boscos. Viele Menschen sind begeistert, wie rasch, sparsam und effizient wir hier Unterstützung an den Brennpunkten der Not leisten. Mit der Errichtung der Stiftung Don Bosco für die Jugend der Welt haben wir zusätzlich ein Gefäss geschaffen, wo Menschen auf lange Zeit und mit zielgerichteter Berücksichtigung ihrer Förderwünsche einen nachhaltigen Beitrag im Dienst benachteiligter Jugendlicher leisten können. Ähnlich ist die Situation von Menschen, welche unsere Hilfsorganisation in ihrem Testament berücksichtigen und oft noch zu Lebzeiten das Gespräch mit mir suchen, um ihren Gönnerwünschen Ausdruck und Verbindlichkeit zu verleihen. Ohne diese Hilfe wären wir hilflos. Und doch ist das Herzstück unserer so wichtigen und nachhaltigen Hilfsprogramme das Engagement meiner Ordensbrüder sowie aller Mitarbeitenden vor Ort in Afrika, Asien, Lateinamerika und auch Osteuropa.
Was hoffen Sie für die Zukunft?
(Lächelt.) Meine größte Hoffnung für die Zukunft ist, dass wir Menschen in Frieden miteinander leben und uns vermehrt einsetzen für die Bewahrung der Schöpfung. Als Salesianer Don Boscos sind wir gefordert, junge Menschen durch „ökologische Erziehung und Spiritualität“ in eine gute Zukunft zu führen und ihnen so den Glauben an einen menschenfreundlichen Gott zu erschließen.
Don Bosco Beromünster