Provinzbegegnungstag: Auf den Spuren von P. Rudolf Lunkenbein SDB
Ein Heiliger für Menschenrechte und Klimawandel
Döringstadt – Fünf Tage ist es her, da sich der Tag der Ermordung von P. Rudolf Lunkenbein zum 45. Mal jährte. Um zehn Uhr morgens treffen 25 Salesianer aus verschiedenen Gemeinschaften der deutschen Provinz im Hause Lunkenbein ein. Dieses liegt in Döringstadt, einem malerischen fränkischen 410-Einwohner-Ort, der – von prächtigen Sonnenblumen- und Kornfeldern umgeben – idyllisch gelegen ist. Die herzliche Gastfreundschaft, mit der die Familie Lunkenbein die Salesianer und einige andere Gäste empfängt, gibt einem das Gefühl einer wunderbaren Vertrautheit, beinahe so, als wäre Rudolf gestern erst noch hier gewesen.
Dieser ist jedoch bereits in den 1960er Jahren als junger Salesianermissionar ins brasilianische Amazonasgebiet nach Mato Grosso aufgebrochen, wo der indigene Stamm der Bororo heimisch ist. Bedrängt durch die Wirtschaftsinteressen weißer Großgrundbesitzer, die großflächigen Landenteignungsmaßnahmen und die massive Regenwaldrodung, sah sich das einheimische Volk am Abgrund seiner Existenz und hatte alle Hoffnung und allen Glauben an das Leben verloren, sodass sich die Bororo-Frauen entschieden hatten eine empfängnisverhütende Substanz zu konsumieren. Sechs Jahre lang war kein einziges Kind mehr geboren worden. Der Stamm hatte sich dem Tod überlassen. In diese Situation kam der junge Rudolf Lunkenbein als Missionar mit dem Auftrag die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden.
Lunkenbein lebte seine „Mission“
Die Art und Weise, wie er seine „Mission“ verstanden und gelebt hat, stellt ein klarer Paradigmenwechsel dar. Der emeritierte Tübinger Pastoraltheologe Prof. Dr. Ottmar Fuchs, der vor den nun in der Döringstadter Pfarrkirche versammelten Gästen referiert, bezeichnet P. Lunkenbeins Biographie als „Verleiblichung des Zweiten Vatikanischen Konzils.“ Lunkenbein bewegte sich in seinem unermüdlichen missionarischen Einsatz jenseits jeder stumpfen und identitären Engführung eines überalterten Missionsverständnisses, das allein auf das Seelenheil durch Glaubensbekehrung fixiert ist, soziale Existenzbedingungen und die aktuelle Lebenssituation der Menschen allerdings gänzlich außer Acht lässt.
Lunkenbein lebte seine „Mission“ in einer neuen, ganzheitlichen Qualität, so Fuchs. Wenn Gott es ernst meint mit seiner Verheißung vom „Leben in Fülle“, darf diese Verheißung nicht auf das Jenseits reduziert werden, sondern muss klare und radikale Konsequenzen für den kirchlichen Sendungsauftrag und die kirchliche Praxis in der Gegenwart haben. Rudolf Lunkenbein hat dem Kern der christlichen Botschaft ein Gesicht gegeben. Er ist selbst zum Gesicht der Hoffnung geworden, zur Stimme der Stimmlosen.
Unerschrockener Einsatz für Menschenrechte
Entschieden hat er sich den Großgrundbesitzern entgegengestellt, um den Lebensraum der Bororo zu verteidigen. Mit seiner Fröhlichkeit und seinem unerschrockenen Einsatz für Menschenrechte hat Lunkenbein den Indigenen neuen Lebensmut geschenkt. Die Bororo wandten sich dem Leben wieder zu. Kinder wurden wieder geboren. P. Lunkenbein war zu einem echten Apostel des lebendigen Gottes geworden. Die Geburt und das Recht auf gelingendes Leben können mit ihm als „Protosakrament“ verstanden werden, als Zeichen der Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes, postuliert Prof. Fuchs.
Wer sich jedoch den Mächtigen in den Weg stellt, zahlt mit dem Leben. Lunkenbein hätte sicher aussteigen können als es gefährlich wurde. Aber stattdessen hörte er nicht auf, in konsequenter Weise zu leben, was er predigte. Darauf geht auch Missionsprokurator P. Josef Grünner in seinem Referat ein. In der ersten Reihe der Pfarrkirche sitzt P. Alois Gassner, der damals gut mit „Rudi“ befreundet war und mit ihm gemeinsam in Benediktbeuern Theologie studierte. Er lauscht aufmerksam dem Vortrag und erzählt schließlich selbst: „Rudi hat damals seiner Mutter in einem Brief geschrieben: ‚Die Lage ist angespannt. Es kann sein, dass Schüsse fallen.‘“
Sein Primizspruch, „Ich bin gekommen, um zu dienen und dafür mein Leben zu geben“ (Mt 20,28), sollte am 15. Juli 1976 in radikaler Weise Verwirklichung erfahren. Rudolf Lunkenbein und sein indigener Freund und Mitstreiter Simão Bororo wurden im Hof der Missionsstation von Merúri (Mato Grosso/Brasilien) von einem Großgrundbesitzer erschossen. Die Bororo verehren Lunkenbein bis heute als Märtyrer und Heiligen. Seinen Leichnam schmückten sie mit Häuptlingsfedern.
Entscheidung im kanonischen Prozess ist richtungsweisend
Im kanonischen Prozess, der aktuell über Lunkenbeins Heiligkeit entscheidet, geht es nicht bloß um katholische Folklore oder eine posthume Ehrenauszeichnung, sondern um weit mehr: Eine Selig- oder Heiligsprechung ist immer auch mit einer theologischen Standortbestimmung der Kirche verbunden und damit richtungsweisend für deren Praxis in der Zukunft. Rudolf Lunkenbeins Einsatz für „das Leben in Fülle“ bietet viel Potenzial hinsichtlich hochaktueller Fragen in Sachen sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechte und Klimawandel. Würde Lunkenbein zur Ehre der Altäre erhoben, wie man sagt, hieße das nicht, dass seine Biographie goldgerahmt einen Platz in einem Museum bekäme, sondern vielmehr, dass der Weg, den er entschieden gegangen ist, eine Spur des Evangeliums darstellt, der die Kirche auch in ihrem gegenwärtigen Handeln folgen möchte.
„Es ist sehr befruchtend und inspirierend sich selbst mit P. Lunkenbein zu beschäftigen, sein Leben und Zeugnis kennenzulernen“, sagt Provinzial P. Reinhard Gesing, der dem Gedenkgottesdienst für die beiden Märtyrer in der Taufkirche St. Martin am Ende des Provinzbegegnungstags vorsteht. Dabei betont er besonders wie wichtig es sei für diese Seligsprechung zu beten.
Text: Josua Schwab SDB