Interview Anna Wild
»Don Bosco heute ist eine große Familie«
Don Bosco heute – dies ist für mich dieser Tage auf den Punkt zu bringen mit der Aussage: »Don Bosco heute ist eine große Familie.« In der Arbeit mit Jugendlichen in der Wohngruppe ist dies ein natürlicher Prozess. Als Pädagogen im Geiste Don Boscos verfolgen wir immer das Ziel, den Jugendlichen ein Zuhause (auf Zeit) zu bieten. Dazu gehören, ähnlich wie in einer Familie, unterschiedliche Aufgaben, aber auch Regeln des Begegnens und Umgehens miteinander. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschichten fällt es manchen Heranwachsenden leichter als anderen. Einige Jugendliche erleben in diesem Rahmen das erste Mal, was es bedeuten kann, füreinander da zu sein, auch in schwierigen Zeiten.
Ohne Reibungspunkte findet dies wohl bei keiner Generation junger Menschen statt. Es ist die Entwicklungsaufgabe ihres Lebensalters, dass sie sich an den ihnen gegenüberstehenden Erwachsenen reiben dürfen und müssen. Als Pädagoge ist es daher ungemein wichtig, diese Reibungsfläche zu bieten und in jeder Situation verlässlich da zu sein.
Don Bosco als Familie? Im Aspekt des stationären Wohnens für Jugendliche ein stückweit logisch. Aber als Mitarbeiter? Auch hier ist es nicht abwegig. Schließlich sind Wohngruppen eine „Zweck-Familie“ für die Heranwachsenden, geprägt durch die mitarbeitenden Erzieher und Sozialarbeiter. Der familiäre Aspekt fällt besonders auf, wenn Mitarbeiter wechseln, also bekannte gehen und neue kommen. In dieser Phase der Veränderung durchleben manche Jugendlichen Krisen in unterschiedlicher Form. Dies zeigt, dass für viele junge Menschen die Wohngruppe ein Stück verlässliche und sichere Familie ist. Finden hier Veränderungen oder Beziehungsabbrüche durch Weggang der Erzieher und Sozialarbeiter statt, erlebt dies manch ein Heranwachsender ähnlich wie in seiner Herkunftsfamilie, wenn Elternteile oder Partner nicht von dauerhafter Präsenz in der Familie sind. Dies ist jedoch nicht nur das Los von heranwachsenden Menschen in stationären Wohngruppen, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Kinder und Jugendliche erleben sehr häufig, wie plural Familie sein kann, sie bedürfen jedoch Zeit und Raum sowie Verbindlichkeit für eine gute Entwicklung.
Selber durfte ich es von Kind an erleben, was diese Gemeinschaft im Geist Don Boscos bedeuten kann. Als Kind war dies vor allem die Offenheit und Freundlichkeit, mit der wir Kinder willkommen geheißen wurden. In den zehn Jahren als Messdienerin bei Don Bosco in Jünkerath durfte ich sehr unterschiedliche Charaktere der „Familie“ kennenlernen. Manche blieben länger, andere wiederum für kurze Zeit, mit manchen ist eine Freundschaft entstanden.
Als junge Erwachsene entschloss ich mich dazu, einen Freiwilligendienst im Europäischen Ausland mit Don Bosco leisten zu wollen. Dies ermöglichten mir die Don Bosco Volunteers Benediktbeuern, die mich nach Tschechien entsandten. In der Einrichtung in Pilsen war ich jetzt kein Kind oder Jugendliche mehr, sondern zählte zu den Mitarbeitern. Während dieser Zeit im Land und besonders in den Jahren danach bis heute wurde mir noch einmal sehr viel deutlicher gemacht: Don Bosco ist nicht nur ein Zuhause und Familie für Kinder und Jugendliche, sondern auch für die Mitarbeitenden. Diese Familie steht zusammen und ist füreinander da, auch wenn es Zeiten gibt, die nicht so leicht sind. Familie bedeutet schließlich auch nicht, dass immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist – sondern – dass man sich auch aneinander reibt. Denn Reibung erzeugt Wärme und heißt nichts anderes als: Hey, DU bist mir wichtig und ich sehe DICH. Um auf den Beginn zurückzukommen: „Don Bosco heute ist eine Familie.“
Anna Wild
Alter: 26 Jahre
Einrichtung: Sannerz
Zur Person: Sie ist seit 1999 mit den Salesianern in Jünkerath verbunden, 2012 nahm sie am Europäischen Freiwilligendienst, durch das Aktionszentrum Benediktbeuern, im Don Bosco Zentrum in Pilsen (Tschechien) teil. 2016 begann sie das duale Studium Soziale Arbeit an der Hochschule Fulda und arbeitet in diesem Rahmen in der Verselbstständigungswohngruppe in Jünkerath. Seit 2018 arbeitet sie im Jugendhilfezentrum Don Bosco Sannerz in einer pädagogischen Wohngruppe.