Interview Dana Hubert
„Die empfindsame Seite des Herzens suchen“
Im Mai 2017 habe ich mich sehr bewusst dafür entschieden, aus dem Allgemeinen Sozialdienst eines Jugendamtes in das Don Bosco Haus Chemnitz zu wechseln. Ich wollte den jungen Menschen und ihren Familien wieder nahekommen. Sie sollten wieder viel mehr sein als Aktenzeichen, die Steuerung von Hilfeplanverfahren und Verwaltungshandeln. Ich wollte wieder mehr Freiraum zum bedarfsgerechten Gestalten von Angeboten für diese jungen Menschen haben. Je weiter ich in die Pädagogik Don Boscos eintauchte, umso mehr faszinierte mich, was er vor etwa 200 Jahren mit viel Herz und Gottvertrauen entwickelte. Herzenspädagogik scheint mir ein sehr brauchbarer Begriff zu sein.
Die zentralen Säulen „Vernunft, Religion, Liebe“ haben bis heute nichts an Aktualität verloren. Ganz besonders die Liebe in Verbindung mit Begriffen wie Akzeptanz, Herzlichkeit, Familiarität sowie die pädagogische Grundhaltung der Assistenz waren und sind für mich wichtige Werte im Umgang mit den uns anvertrauten jungen Menschen.
Im Alltag bedeutet das für mich und meine Kollegen, ein förderliches Umfeld für die jungen Menschen zu schaffen und sie vorurteilsfrei anzunehmen, so, wie sie sind. „In jedem Jugendlichen, auch im unglücklichsten, gibt es einen Punkt, wo er für das Gute empfänglich ist; und die erste Pflicht des Erziehers ist es, diesen Punkt, diese empfindsame Seite des Herzens zu suchen und fruchtbar zu machen.“ Zugegeben, öfters gestaltet sich diese Suche ein wenig schwierig, vor allem dann, wenn die jungen Menschen bereits so viele Misserfolge und Enttäuschungen erleben mussten, dass sie nicht mehr an sich selbst glauben. Verschlossenheit, Ablehnung, Ignoranz, manchmal auch Aggressivität – das erleben wir vor allem in unserem Projekt „Startklar in die Zukunft“. Da wünsche ich mir oft noch bessere Ohren, um in diese jungen Menschen hineinhören zu können. Es ist herausfordernd, unsere jungen Leute spüren zu lassen, dass sie wirklich angenommen sind. Auch, wenn wir die Herzlichkeit und die Familiarität leben, entsteht nicht immer gleich Vertrauen. Das kann sehr lange dauern. Manchmal bleibt das Vertrauen ein sehr fragiles Konstrukt, das schnell wieder zerbricht. In diesen Situationen hilft mir meine Überzeugung, dass Gott mir diese jungen Menschen nicht ohne guten Grund als Herausforderung schenkt. Auch, wenn ich diesen guten Grund nicht immer gleich erkennen kann und an Grenzen gerate, weiß ich, dass alles seinen Sinn hat.
Wenn ich auf das Jahr zurückschaue, dann war unser Projekt „Wildfang“ ein Herzens projekt für mich. Wir haben es für die TeilnehmerInnen im Projekt „Startklar in die Zukunft“ konzipiert. Tiergestützte Sozialarbeit mit Pferden, angereichert mit reittherapeutischen Elementen, sollte den jungen Menschen die Möglichkeit geben, Selbstwirksamkeit zu erfahren, und sie so in ihrer Persönlichkeit und Individualität stärken. Durch den Umgang mit den Pferden und die Gegebenheiten der Natur wollten wir Erfahrungsspielräume schaffen, um Veränderungsprozesse anzuregen. Am Ende stand eine mehrtägige Abschlussfahrt an die Ostsee auf eine große Reitanlage. Dort lebten wir gemeinsam mit den jungen Menschen in einem Haus, teilten mit ihnen unzählige wunderbare Momente. In diesem familiären und freundschaftlichen Klima gelang es jedem dieser jungen Menschen, über sich hinauszuwachsen. Egal, ob der Umgang mit den fremden und viel größeren Pferden oder der Aufstieg auf einen Leuchtturm bei Windstärke 9 – jede Herausforderung wurde angenommen. Wir waren gemeinsam unterwegs, das zählte. Die sehr intensive gemeinsame Zeit hat tief im Inneren bei allen Spuren hinterlassen, welche die ersten kleinen Schritte auf dem Weg zur „empfindsamen Seite des Herzens“ sind.
Dana Hubert
Alter: 45 Jahre
Einrichtung: Don Bosco Haus Chemnitz
Zur Person: Dana Hubert absolvierte ursprünglich eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten, gab diesen Beruf aber auf und absolvierte ein duales Studium der Sozialen Arbeit. Von 2013 bis 2016 leitete sie eine Kinder- und Jugendstation in Ribnitz-Damgarten mit ambulanten und stationären Jugendhilfeangeboten. 2016 kehrte sie mit ihrer Familie ins Erzgebirge zurück und nahm eine Tätigkeit im Allgemeinen Sozialdienst auf. Seit September 2017 ist sie nun im Don Bosco Haus Chemnitz als Pädagogische Leitung tätig.