Krieg in der Ukraine: Interview mit Pater Mykhailo Chaban SDB
P. Mykhailo Chaban SDB ist Provinzial der SDB in der Ukraine und Leiter des Don Bosco Familienhauses in Lemberg. Der 44jährige ist in der westukrainischen Stadt geboren. Im Familienhaus in Lemberg werden bis zu 450 Flüchtlinge betreut und versorgt–vor allem Frauen und Kinder.
Wie ist die aktuelle Situation in der Ukraine?
Die Situation ändert sich ständig. Vor drei Tagen ist in der Nähe von uns ein Stützpunkt von Helfern von der russischen Armee bombardiert worden. 35 Menschen starben. Die Hauptstadt Kiew ist unter Dauerbeschuss. Die Menschen wollen fliehen, es gibt aber keine Fluchtkorridore. Dann werden sie beim Fluchtversuch vom russischen Militär erschossen. Die Menschen sterben auf der Straße, sie sterben beim Brot kaufen. Das ist der absolute Terror und eine sehr traurige Situation. Auch in Lemberg gibt es nachts ständig Bombenalarm. Die Menschen suchen Schutz im Keller oder an anderen Orten. Das Leben ist schwierig. Es ist Krieg und alles kann passieren.
Es scheint, dass die russische Armee das ganze Land okkupieren will. Das erweist sich aber für sie schwieriger als gedacht, der Widerstand ist groß. Die Menschen hier sind unglaublich mutig. Unter Lebensgefahr gehen sie auf die Straße. Sie demonstrieren friedlich ohne Waffen. Sie rufen: Wir wollen unsere Freiheit! Wir wollen nicht zu Russland gehören!
Wie geht es den Kindern und Jugendlichen?
Die Kinder und Jugendlichen sind sehr besorgt und haben Angst. Krieg ist schrecklich für Kinder. Wir versuchen, ein bisschen Normalität zu schaffen. Indem sie Fußball spielen, lernen oder auch zur Arbeit gehen. Ihr Leben soll dadurch ruhiger verlaufen und ihnen Sicherheit geben. Das geht natürlich nicht in einer Stadt, die unter Dauerbeschuss ist. Wir haben deshalb ja auch Kinder evakuiert. Diese 55 Jungen aus unserem Familienhaus habe ich jetzt alle wiedergesehen. Glücklicherweise geht es ihnen gut. Sie gehen auch zur Schule und lernen die lokale Sprache, wie Slowakisch. Die Kinder fragen aber auch immer, wann sie wieder nach Hause zurückkommen können.
Zusätzlich können sie am Online-Unterricht ihrer ukrainischen Schule teilnehmen. Das ist ein wichtiger Schritt in die Normalität. In der Ukraine wird an den staatlichen Schulen Online-Unterricht angeboten. So haben Jungen und Mädchen Zugang zu Bildung. Der Staat versucht, das überall zu ermöglichen.
Was benötigen die Menschen am dringendsten?
Die Menschen brauchen Essen, Wasser und auch Medikamente. Es mangelt auch überall an Brot. Deshalb bringen wir Brot und auch Mehl in die Gebiete, die es am dringendsten benötigen.
Und die Menschen brauchen auch psychologische Unterstützung. Das ist zurzeit in unserer Kommunität ein großes Thema. Die Menschen sind verzweifelt und es geht ihnen sehr schlecht. Letztens flog ein Hubschrauber über uns. Ich habe beobachtet, wie die Leute sich sofort verstecken wollten. Ihre Angst war sehr groß. Sie brauchen dringend Hilfe und psychologischen Beistand. Wir überlegen unser Team einzusetzen, das auch mit traumatisierten Kindern arbeitet. Es könnte den Menschen helfen, ihre Traumata zu überwinden.
Was stellt für Sie die größte Herausforderung dar?
Die größte Herausforderung ist es, dabei zu helfen, dass sie ein Leben wie vor dem Krieg führen können. Ein normales Leben. Gerade der Jugend wollen wir dabei helfen: Sport zu machen, Fußball zu spielen und arbeiten gehen zu können. Sie brauchen einen Alltag. Darüber machen wir uns viele Gedanken, wie das gelingen kann. In bestimmten Gebieten, die von der russischen Armee angegriffen werden, ist das unmöglich. Das ist sehr bedrückend und sehr belastend. Auch dass jeden Tag so viele Menschen sterben müssen. Wir sind Christen, das ist nicht hinnehmbar. Die Solidarität weltweit mit der Ukraine ist phantastisch. Ich befürchte aber, dass Sanktionen alleine, wie sie die westlichen Länder und USA gegen Russland verhängt haben, nicht reichen werden. Wir beten jeden Tag für den Frieden.
17. März 2022
Das Interview führte Kirsten Prestin, Don Bosco Mission Bonn
Foto: kathpress/Pernsteiner