Das volle Leben! – Freizeit und Bildung für Kinder und Mütter in schwierigen Lebensumständen
Benediktbeuern – Nach intensiver Vorbereitung konnte das sechsköpfige Team im Aktionszentrum Benediktbeuern 23 Kinder im Alter von einem halben Jahr bis 13 Jahren mit ihren zwölf Müttern begrüßen. Der Kontakt wurde von Einrichtungen der Jugendhilfe und/oder Familienbildung hergestellt, von denen acht Betreuerinnen und Betreuer die Familien auf ihrem Weg nach Benediktbeuern begleiteten. Unter ihnen waren auch drei Mütter aus der Ukraine mit ihren Kindern, die große Dankbarkeit zeigten, aber auch ihre schlimmen Vorerfahrungen mitbrachten, insbesondere die Kinder. Die Schüsse bei der im Kloster sattfindenden Fronleichnamsprozession lösten beispielsweise große Verunsicherung bis hin zu Panikattacken aus.
Angebot für sozial schwache Familien
Die anderen neun Familien stammen aus sogenannten schwachen sozialen Milieus, die Mütter sind meist arbeitslos, die Väter nicht präsent oder in ebenso prekären Sozial- und Arbeitsverhältnissen. Das Bildungsniveau ist in der Regel sehr niedrig, was sich auf die Situation der Kinder sehr auswirkt. Es ist auch Realität, dass der Großteil der Kinder noch nie außerhalb ihrer Stadt oder ihres Stadtviertels waren. Der Bildungsaspekt beginnt also bereits damit, eine solche Reise zu planen und anzutreten: vom Kofferpacken bis hin zur Anreise.
Besonders erfreulich war das Wiedersehen mit einer Familie, die im letzten Jahr bereits dabei und sehr auffällig war: die beiden Jungs waren aggressiv, die Mutter ließ sich nur zögernd auf die Angebote in der Gruppe ein. Sie erzählte in diesem Jahr, dass das „volle Leben" 2022 den Anstoß gab, ihr Leben langsam zu verändern: einer der Jungs wird seitdem psychologisch betreut, auch sie selbst nimmt Familienhilfen an. Die Veränderung war augenscheinlich: die körperliche Präsenz der Jungs war eine ganz andere, Gespräche waren möglich, ein positives Selbstbewusstsein löste das hohe Aggressionspotenzial ab. Natürlich gab es weiterhin schwierige Momente, aber Veränderung hat begonnen und ist gewünscht.
Sich kennenlernen und gemeinsam etwas erleben
Die Tage in Benediktbeuern hatten ein ähnliches Rahmenprogramm wie in den vergangenen Jahren: Ein herzliches Willkommen, das Kennenlernen untereinander sowie der Räumlichkeiten, das gemeinsame Abendessen sowie der ruhige Tagesabschluss standen am ersten Tag auf dem Programm. Ein Junge meinte bei der Ankunft: „Wow, wir dürfen in einem Königsschloss wohnen!"
Ein besonderes Highlight in diesem Jahr: Schafe, die für die pädagogische Arbeit ausgebildet sind, weideten auf dem Klostergelände und wir konnten an zwei Tagen mit ihnen arbeiten. Die Schäferin erläuterte zu Beginn einige wichtige Dinge zum Umgang und lud die Kinder direkt zu einem ersten Kennenlernen ein. Die Wirkung war unglaublich: mit wieviel Ruhe, Demut und Fürsorge auch die größten Energiebündel sich auf die Begegnung mit den Vierbeinern einließen!
Die Mütter lernten sich durch erlebnispädagogische Übungen besser kennen und wurden zu einem Rundgang durchs Kloster eingeladen. Am Nachmittag ging es gemeinsam auf den Klang- und Barfußpfad im Moos, wo man sich mit den verschiedenen Elementen vertraut machen und vielerlei entdecken konnte. Der Ausflug zum Kochelsee begeisterte am nächsten Tag alle. Vor allem die Kinder genossen es, am klaren See zu spielen und erlebten häufig zum ersten Mal das Gefühl der Erhabenheit der Gebirgslandschaft. Nach der Rückkehr wurde im Klostergarten gegrillt und der Tag klang mit dem Abendritual aus. Dabei wurde täglich ein Teil der Geschichte von einem Schaf, das auf der Suche nach Freundschaft und Heimat ist, weitererzählt. Die Spannung war insbesondere bei den kleineren Kindern immer sehr groß.
Entspannung in der Natur
Am dritten Tag konnten sich die Mütter bei einer Einheit auf dem Berg, geleitet von der Psychologin im Team, austauschen und reflektierten dankbar die Veränderungen der vergangenen Tage bei sich und ihren Kindern. Sie schrieben sich selbst eine Postkarte mit Wünschen an das zukünftige Ich, die ihnen nach ca. drei Monaten zugeschickt wird. Nachmittags durften dann auch die Mütter die beruhigende Wirkung der Schafe erfahren. Die kleineren Kinder bastelten, kuschelten mit den Schafen und anderen Tieren, sangen und spielten in der Umgebung des Klosters.
Die größeren Kinder (ab ca. 11 Jahre) durften mit einigen Betreuern und Betreuerinnen auf den Berg. Mit stolz geschwellter Brust berichten sie anschließend von ihrer „Gipfelbesteigung“. Durch gemeinsame Mahlzeiten, denen immer ein Anfangsritual voranging, erhielten die Tage eine wohltuende und verlässliche Struktur.
Hier kann nur ein Bruchteil dessen beschrieben werden, was an diesen Tagen geschieht. Die Veränderung wurde sichtbar und kommt hoffentlich auch bei vielen der Teilnehmenden im Alltag zum Tragen. Es ist gelungen, gute Erinnerungen zu schaffen, die den Kindern Halt in einem oft so haltlosen und belasteten Leben geben können.
Text und Fotos: Angelika Gabriel