Aus einer kleinen Teestube wird ein Jugend- und Familienzentrum
Chemnitz – Nach der Wende stand für die Salesianer Don Boscos die Frage im Raum, wie und ob die Ordensgemeinschaft in den neuen Bundesländern aktiv werden kann. Parallel zu seinen Mitbrüdern Pater Johannes Schoch und Bruder Reinhold Kurtz, die 1992 in Dittersdorf eine Berufsbildungseinrichtung für lernbeeinträchtigte und behinderte Jugendliche eröffnet hatten, erkundete auch Pater Johannes Schreml die Stadt Chemnitz. Den Auftrag bekam er vom damaligen Provinzial Pater Herbert Bihlmayer.
„Ich wollte erst nicht alleine rüber“, erzählt Pater Schreml heute. Doch „im Vertrauen auf die Mutter Gottes“ wagte er diesen Schritt ins Ungewisse. Der Ursprung des Salesianer-Ordens in Chemnitz war das sogenannte „Haus Lebenszeichen“ am Stadtrand, das der Orden damals von den Elisabeth-Schwestern übernahm. Dort lebte auch Pater Schreml zunächst und zog von dort aus regelmäßig los, um auf der Straße mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen. Als „Wessi“ sei ihm dabei mit Skepsis, aber auch mit Neugier begegnet worden. „Es war sagenhaft interessant.“
Aufmerksamkeit durch die Presse
1991 mietete er schließlich eine kleine Wohnung an, in der er eine Teestube errichtete. Ein einziger Raum mit Billardtisch und Tischtennisplatte, erinnert sich der Salesianer. Doch es war der Grundstein für alles, was daraufhin folgte.
Größere Aufmerksamkeit bekam die Arbeit des Salesianers, nachdem ihn ein Reporter über mehrere Tage hinweg bei seiner Arbeit begleitet hatte. Der Artikel, der daraus entstand, bekam laut Pater Schreml viel Beachtung. „Er hat wirklich die Misere in den Familien dargestellt.“ Daraufhin meldete sich ein Geschäftsmann bei ihm, der ihn bei der Suche und Finanzierung eines neuen Gebäudes für die Jugendarbeit unterstützte. Denn inzwischen – das war 1993 – hatte der Salesianer die Teestube wieder aufgegeben müssen.
Das Don Bosco Haus entsteht
Schließlich übernahmen die Salesianer Don Boscos im Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg ein altes Fabrikgebäude, das sie für ihre Jugendarbeit herrichteten. Dabei packten auch die Lehrlinge aus dem mittlerweile in Burgstädt entstandenen Berufsbildungswerk mit an. 1996 wurde das neue, umgebaute Gebäude dann von Diözesanbischof Joachim Reinelt als Don-Bosco-Haus (DBH) eingeweiht. 1997 übernahmen die Salesianer Don Boscos zudem die seelsorgerischen Aufgaben in der Pfarrei St. Antonius.
Wichtig war ihnen von Anfang an, einen engen Kontakt zu den Familien herzustellen. Da die meisten Menschen dort nicht religiös waren, spielten dabei Aspekte wie Wertschätzung und Würde eine große Rolle. „Dann erst kam der Glaube“, sagt Pater Johannes Schreml.
„Ich bin meiner Sehnsucht gefolgt“
Nach der Eröffnung des Don-Bosco-Hauses kamen neue Brüder nach, so etwa Pater Albert Krottenthaler. Für ihn war der Osten immer so etwas wie ein Sehnsuchtsort gewesen. Schon in der Schule habe er auf einer Landkarte die Mecklenburgische Seenplatte, das Elbsteingebirge und den Spreewald entdeckt und beschlossen, dass er dort hinwolle. Später habe er in Benediktbeuern (Oberbayern) als Klosterführer nach dem Mauerfall die ersten DDR-Touristen erlebt. „Das waren sehr bewegende und berührende Begegnungen.“
Im Don-Bosco-Haus in Chemnitz begann Pater Albert Krottenthaler zunächst als Fußballtrainer im Jugendclub. „Da konnte ich mich sehr gut einbringen.“ Nach zwei Jahren übertrug ihm Pater Schreml dann die Leitung.
In Pater Schreml fand Pater Albert Krottenthaler in all dieser Zeit nicht nur einen väterlichen Freund. Auch bewunderte er ihn für seinen Mut, wie er hier mit der Teestubenarbeit mitten im sozialen Brennpunkt mit den Jugendlichen gearbeitet hat. „Ich stehe auf den Schultern derer, die hier begonnen haben.“ Sie hätten in den neuen Bundesländern, so führt er aus, mit Enthusiasmus, Schwung, Leidenschaft und Glaubwürdigkeit agiert: „Sie haben die Ärmel hochgekrempelt – so hätte es Don Bosco gesagt.“
Damals hatte das DBH noch den Schwerpunkt der offenen Kinder- und Jugendarbeit. In den nächsten Jahren kamen ambulante Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit, Familienbildung sowie der Kinder- und Jugendzirkus Birikino dazu. Unter P. Johannes Kaufmann SDB, der ab 2009 Leiter war, wurden die Bereiche weiter ausgebaut und es kam mit der beruflichen Aktivierungsmaßnahme „Startklar“ ein neuer, großer Bereich dazu. Gleichzeitig wuchs die Mitarbeitendenzahl von sieben auf 33.
Video: Ein Blick auf die Anfänge
Eine Umbruchszeit
Die damalige Zeit beschreibt Pater Albert Krottenthaler als Umbruchszeit. Eltern, die es gewohnt waren, dass ihnen die Erziehung abgenommen wird, mussten plötzlich agieren – konnten es aber nicht. Für die Salesianer Don Boscos war es ebenfalls eine Herausforderung. „Es gab kaum eine kirchliche Sozialisation.“
Dennoch stieß Pater Albert Krottenthaler bei den Menschen auf viel Sympathie. Das lag in seinen Augen auch daran, dass er den Menschen nicht besserwisserisch, sondern fragend, dialogisch und wertschätzend gegenübertrat. „Es war wichtig, einen guten menschlichen Einstieg zu finden und Brücken zu bauen.“
Das Religiöse brachte er bei verschiedenen Gelegenheiten ein, etwa, wenn ein Jugendlicher mit dem Tod konfrontiert wurde. „Sie hatten keine Rituale, um so etwas zu verarbeiten.“ Hier hätten sie als Salesianer Zeichen gesetzt und den Glauben so vermittelt, dass die Jugendlichen etwas spürten, erinnert sich Pater Krottenthaler.
„Die neuen Bundesländer sind eine Wahl“, betont der Salesianer. Und für ihn war es von Anfang an die richtige. Er ist stolz auf das, was er und seine Mitbrüder hier aufgebaut und erreicht haben – und das, obwohl ihnen zu Beginn mit großem Misstrauen und Vorurteilen begegnet worden sei.
Auch die Verantwortlichen auf politischer Ebene hätten wahrgenommen, dass die Salesianer über ein „gutes Know-how im Präventivsystem“ verfügen. „Die Leute haben gemerkt, wir kümmern uns tatsächlich um Kinder und Jugendliche.“ Darauf blickt er als Salesianer und Ordensmann heute mit viel Selbstbewusstsein.
Bilder aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Zirkus Birikino
Text: Patrizia Czajor; Fotos: Don Bosco Haus Chemnitz