Geistlicher Impuls: Warum wir Christen in dieser Krise besonders gefordert sind
Das Coronavirus hat innerhalb kürzester Zeit unsere Welt verändert. Es ist, als würden von jetzt auf gleich die Räder der Welt stillstehen – auf jeden Fall drehen sie sich deutlich langsamer als bisher. In den verschiedenen Ländern werden zum Teil drastische und einschneidende Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Das öffentliche Leben ist in vielen Bereichen zum Stillstand gekommen.
Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass wir als Menschenfamilie gerade eine Situation erleben, für die wir alle bisher keine Vorerfahrungen haben und mit der wir lernen müssen zurechtzukommen. Viele Menschen, besonders schwerkranke und alte Menschen, haben existentielle Ängste, die gut nachzuempfinden sind. Kinder und Jugendliche sind stark von den Veränderungen betroffen und werden durch die Schließung aller pädagogischen Angebote in ihren Entfaltungsmöglichkeiten gerade sehr eingeschränkt. Viele Unternehmen fürchten um ihre Zukunft und Menschen um ihre Arbeitsplätze! All das berührt auch uns als Christen, die wir uns noch nicht einmal mehr zum Gottesdienst versammeln können, gerade jetzt, wo wir die Stärkung aus dem Glauben so nötig haben.
Mir fällt in diesen Tagen immer wieder der Prediger Kohelet ein, der für mich ins Wort bringt, was wir gerade erleben: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: … eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz … eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden“ (Koh 3,1.4.7b). Das Leben lehrt uns gerade, dass jetzt nicht die Stunde ist für äußere Aktivitäten und für alle möglichen Unternehmungen; als Christen sollten und müssen wir uns mit gutem Beispiel an die von staatlicher Seite auferlegten Einschränkungen halten.
Die Fastenzeit hat in diesem Jahr einen ganz neuen Charakter bekommen und ihre drei klassischen Ausdrucksformen – Fasten, Gebet und Werke der Liebe – einen ganz neuen Inhalt. Einiges spricht dafür, dass sie, im übertragenen Sinne verstanden, sogar über Ostern hinausreichen wird.
Stunde der Einkehr
Jetzt ist für viele von uns die Stunde der Einkehr. In diesem Jahr geht es in der Fastenzeit nicht so sehr darum, auf Essen oder Alkohol zu verzichten, was viele für deren Inbegriff halten. Vielmehr sind wir zum Verzicht auf Treffen und Begegnungen, auf Fahrten und Freizeitaktivitäten, auf Bewegungs- und Handlungsfreiheit aufgerufen. Umso mehr sollten wir die auf diese Weise geschenkte Zeit der Ein-Kehr widmen. Wir sollten sie zum Lesen eines geistlichen Buches, zur Meditation der Hl. Schrift, zur Betrachtung der Schöpfung oder zum Glaubensgespräch mit einem Freund/einer Freundin oder in der Familie „nutzen“, als eine Zeit also, uns Gott zuzuwenden, um gerade in dieser Zeit unser Vertrauen auf IHN zu stärken. Die Notsituation der Welt ist ja auch eine Anfrage an unseren Glauben an die Liebe und Güte des allmächtigen Gottes. Die derzeitige Stunde lädt uns ein, uns noch tiefer in Gott festzumachen und uns in der Hoffnung stärken zu lassen.
Stunde der Zuwendung
Jetzt ist auch die Stunde der Zuwendung. Die Werke der Liebe dürfen auch in dieser Zeit der Einschränkungen nicht fehlen! Wir dürfen als Christen gerade die nicht vergessen, die von der Pandemie mehr als wir selbst betroffen sind. Die Virusepidemie fordert von uns Respekt vor der Angst des Nächsten und ein hohes Maß an Empfindsamkeit und Empathie, wenn wir unserer Pflicht als Christen nachkommen wollen. Wenden wir uns den bedürftigen Nächsten zu und schenken ihnen Zeit. Um niemanden gesundheitlich zu gefährden, wird nicht immer eine persönliche Begegnung möglich sein. Einen schon lange fälligen Brief oder eine E-Mail zu schreiben oder einen vielleicht einsamen Menschen anzurufen, ist aber immer möglich.
Auch die neuen Medien bieten verschiedene Möglichkeiten andere Menschen, vor allem junge Menschen, anzusprechen und zu begleiten. Und vielleicht braucht es an der einen oder anderen Stelle im Sinne der Nachbarschaftshilfe gerade jetzt unsere menschliche Unterstützung und unser praktisches Glaubenszeugnis.
Zeit zum Gebet
Jetzt ist auch die Zeit zum Gebet. Indem wir uns Gott zuwenden, wird unser Vertrauen auf IHN gestärkt. „Not lehrt beten“, heißt es oft, leider mitunter etwas abschätzig. Lassen wir uns von der derzeitigen Not zum Gebet führen! Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott unser Gebet hört. Wir können allein für uns beten oder auch in kleinen Gruppen. Die Psalmen, der Rosenkranz oder der Kreuzweg sind gerade in dieser Zeit sehr geeignete Gebetsformen. Im Gotteslob oder auch im Internet sind viele Anregungen zu finden. Auch wenn öffentliche Gottesdienste inzwischen weitgehend untersagt sind, sind viele Kirchen offen für Einzelbeter, die in aller Stille anbeten möchten. Radio, Fernsehen und Internet bieten die Möglichkeit, an übertragenen Gottesdiensten teilzunehmen und sich so geistlich mit der Gemeinschaft der Gläubigen zu verbinden. Und es mag auch ein Trost sein zu wissen, dass in vielen Klöstern und geistlichen Gemeinschaften gerade auch jetzt stellvertretend für uns alle gebetet wird.
P. Reinhard Gesing SDB