Don Bosco Schwestern in Magdeburg: Ein Neuanfang
Schwester Lydia Kaps erinnert sich noch gut an die erste Fahrt mit Jugendlichen des neu eröffneten Kinder- und Jugendzentrums in Magdeburg. Gemeinsam besuchten sie die frühere Einrichtung der Salesianer in Berlin-Wannsee. Beim Abendessen entstand dann eine lebhafte Diskussion darüber, ob die Schwester nun vor dem Essen laut oder still für sich selbst beten solle. Schließlich sprach die Schwester laut das Tischgebet.
Die 59-Jährige ist für die Don Bosco Schwestern in Ostdeutschland eine Frau der ersten Stunde. 1992 zog sie von Gelsenkirchen nach Magdeburg und begründete gemeinsam mit zwei weiteren Ordensfrauen das Kinder- und Jugendzentrum Don Bosco in Magdeburg. Auch für sie war die Situation damals ganz neu. Die Kirche spielte in der ehemaligen DDR kaum eine Rolle. Die Schwestern waren drüben so etwas wie „Exoten“, erinnert sich Schwester Lydia. Noch heute liegt die Zahl der Katholiken im Bistum Magdeburg bei etwa drei Prozent.
Doch sie und die anderen Schwestern haben dort dennoch schnell eine große Akzeptanz erfahren. „Man hat uns abgenommen, dass wir nicht missionieren wollen.“ Gleichzeitig fühlte sich die Ordensfrau auch stark herausgefordert und machte sich Gedanken darüber, welches christliche Bild sie transportieren möchte. „Ich habe damals viel öfter über diese Frage nachgedacht.“ Als wesentlich empfand sie es, den Kindern und Jugendlichen das Christsein vorzuleben. Denn nichts erschien ihr wichtiger, als authentisch und glaubwürdig aufzutreten.
Großer Zulauf in den ersten Jahren
Nach der Wende wollte vor allem der damalige Jugendbischof die Don Bosco Schwestern nach Magdeburg holen, erzählt Schwester Lydia. Und es war auch die Diözese, die den Don Bosco Schwestern das Gemeindezentrum für ihre Arbeit zur Verfügung stellte. Am 15. Oktober 1992 kamen die Schwestern schließlich nach Magdeburg und wohnten im Keller des Gemeindehauses. Von dort aus begannen sie, Kontakte zu den Menschen und den Verantwortlichen der Stadt zu knüpfen und boten die ersten Angebote für Kinder und Jugendliche an.
In den Räumen eröffneten sie schließlich im September 1993 das Kinder- und Jugendzentrum. Und gerade in diesen ersten Jahren hatte die Einrichtung „unheimlich großen Zulauf“. Das lag, wie Schwester Lydia berichtet, auch daran, dass viele Jugendhäuser nach der Wende erst einmal geschlossen wurden – auch weil sich dort die Pionierorganisationen der DDR getroffen hatten.
Damals kamen laut Schwester Lydia bis zu 150 Kinder und Jugendliche täglich in die Einrichtung. Der Schwerpunkt lag damals auf der Jugendarbeit und die jungen Erwachsenen brachten sehr unterschiedliche Hintergründe mit. Doch trotz dieses breiten Spektrums an verschiedenen Menschen schafften die Don Bosco Schwestern es, ein gemeinsames Miteinander zu finden, in dem Toleranz und Respekt gelebt wurden, so schildert es Schwester Lydia. Den Schwestern begegneten die Kinder und Jugendlichen sehr wohlwollend und offen.
Gegensätze von Ost und West
Als Vorteil hat sich im Kontakt mit den Kindern, Jugendlichen und Eltern auch der eigene regionale Hintergrund der Ordensfrau erwiesen. Dass sie selbst in einer Arbeiterfamilie groß geworden ist und auch ihre rheinische Mentalität kamen dort gut an, wie die 59-Jährige schnell merkte. „Doch auch ich musste dort neu anfangen und wir haben uns dabei eben gegenseitig unterstützt.“
Doch natürlich spielten zu Beginn, wie sie erzählt, gerade die Gegensätze zwischen Ost und West eine Rolle. Der Sozialismus und der Kapitalismus, „das sind zwei Paar Schuhe“. Deswegen mussten sich die Ostdeutschen in dem neuen Denken erst einmal „Zuhause“ fühlen, wie die Ordensfrau ausführt. Hinzu kam die wirtschaftliche Situation: Viele Arbeitsplätze gingen verloren und die Menschen mussten sich neue Qualifikationen aneignen.
„Wir müssen zu dem stehen, was wir sind.“
Diese Gegensätzlichkeit spiegelte sich auch in der täglichen Kommunikation wider. Schwester Lydia erinnert sich an eine Situation, bei der sie mit einem Jugendlichen zusammen im Auto saß. Sie waren auf dem Weg zu einer Schulausstellung, bei der ein von dem Jungen gestalteter Schachtisch ausgestellt wurde. Der Junge, der Glatze und Springerstiefel trug, machte sich während der Fahrt jedoch Gedanken darüber, welchen Eindruck das ungleiche Paar vor Ort wohl machen würde. „Soll ich lieber Zivilkleidung anziehen?“, fragte die Schwester daraufhin den Jungen. Das jedoch verneinte er vehement. „Wir müssen schon zu dem stehen, was wir sind – du zu deinem Schleier und ich zu meiner Glatze. Und wenn da einer was sagt, wird er von mir schon etwas zu hören bekommen.“
Aus der Perspektive der Schwester habe es damals auch an der Einsicht gemangelt, dass auch der „Wessi“ viel von Ostdeutschland lernen könne. Zu schätzen weiß die Schwester zum Beispiel die Ehrlichkeit, Direktheit und auch Verbindlichkeit, die sie bei vielen Ostdeutschen erfahren habe.
Kontakt über Generationen hinweg
Heute spielen die früheren politischen Gegensätze eine weitaus geringere Rolle – erst recht bei den Kindern und Jugendlichen. Die Jugendarbeit vor Ort unterscheide sich kaum von der anderswo, sagt Schwester Lydia. Hier wie dort geht es darum, den Kindern und Jugendlichen eine Perspektive zu geben, ihnen zum Abschluss zu verhelfen und sie emotional zu stärken.
Schön findet die 59-Jährige, dass viele Ehemalige der Einrichtung weiterhin verbunden sind. Viele von ihnen schickten heute sogar ihre eigenen Kinder ins Jugendzentrum. Es ist somit eine Hilfe über mehrere Generationen hinweg.
Seit 1993 arbeitet Schwester Lydia nun schon im Kinder- und Jugendzentrum Don Bosco in Magdeburg. Sie sagt, dass sie sich in dieser ganzen Zeit immer von Gott getragen gefühlt habe. „Das was ich heute bin, bin ich durch diese Arbeit.“
Text: RefÖA/Patrizia Czajor, Fotos: Kinder- und Jugendzentrum Don Boscso in Magdeburg